Stellungnahme Dr. Johannes Koll


Der Fall Röder – Anmerkungen zum Umgang mit deutscher Zeitgeschichte

von PD Dr. Johannes Koll, Wien

Keine Frage: In der Regel freut es einen Autor, wenn sich Kollegen auf sein Buch beziehen. Anders verhält es sich, wenn die eigene Position auf den Kopf gestellt wird.

Dieses Schicksal ist meiner Habilitationsschrift widerfahren. Auf sie bezieht sich Hans-Christian Herrmann in seiner Biographie über Franz Josef Röder, und zwar im Zusammenhang mit dessen Tätigkeit in denNiederlanden zwischen 1937 und 1945. Aus der Tatsache, dass der spätere saarländische Ministerpräsident in meinem Buch über die Politik des hochrangigen NS-Funktionärs Arthur Seyß-Inquart nicht erwähnt wird, glaubt Herrmannableiten zu dürfen, dass Röder keinerleiBedeutung für die unerhörten Verbrechen gegen die Menschlichkeit besessen habe, die die deutsche Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden zu verantworten hatte. Dabei lässt der Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs außer Acht, dass meine biographische Studie über Seyß-Inquart nicht einmal ansatzweise alle NSDAP-Mitglieder unter die Lupe nehmen konnte und wollte, die in der NS-Zeit in den Niederlanden aktiv geworden sind.

Hätte Herrmann dem Vortrag beigewohnt, den ich am 27. Oktober letzten Jahres in der Politischen Akademie der Stiftung Demokratie gehalten habe, hätte er übrigens gelernt, dass ich Röders NS-Vergangenheit sehr kritisch betrachte. Wie im Internet auf einem Youtube-Mitschnitt nachzuhören ist, sehe ich in Röder einen jener Parteigenossen, die sich freiwillig und sehr engagiert in die nationalsozialistische Besatzungspolitik in den Niederlanden eingebracht haben. Es ist somit inhaltlich widersinnig und methodisch unzulässig, meine wissenschaftliche Arbeit für eine Entlastung Röders in Anspruch zu nehmen. In dieser Hinsicht betätigt sich Herrmann geradezu als Wiederholungstäter: Wie ebenfalls auf Youtube dokumentiert ist, hatte er mich schon auf der Podiumsdiskussion „Röders braune Spuren?“ vom 8. Juli 2016 als Kronzeugen missbraucht. Das ist genauso inakzeptabel wie der Versuch der Konrad-Adenauer-Stiftung, Röder in ihrem Internetauftritt in die Nähe des Widerstands gegen die NS-Herrschaft zu rücken.

Herrmann bleibt letztlich weit hinter dem aktuellen Forschungsstand zurück, zu dem insbesondere Erich Später und Julian Bernstein wichtige Beiträge geliefert haben. Um endlich zu einem angemessenen Bild von Röders Biographie zu gelangen,wäre es bitter nötig, systematisch historische Quellen aus niederländischen Archivenzu durchforsten und in den Kontext der deutschen Besatzungspolitik im Zweiten Weltkrieg zu stellen. Auf dieser Grundlage ließe sich nicht zuletzt die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in der saarländischen Geschichte des 20. Jahrhunderts qualifizierter bewerten, als Herrmann dies tut. Auf jeden Fall könnte der Fall Röder ein weiterer Anlass sein, den Umgang der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit einer vergifteten Vergangenheit selbstkritisch zu beleuchten. Gut acht Jahrzehnte nach Entfesselung des Zweiten Weltkriegs käme ein derartiges Unterfangen keineswegs zu früh.